Titel

Vereinbarkeit des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG mit höherrangigem Recht

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III R 19/22 Link

Fallbeschreibung und Rechtsfrage

A, eine rumänische Staatsbürgerin, war in Deutschland als Saisonarbeiterin tätig. Sie beantragte Kindergeld für ihre in Rumänien lebenden Kinder C und D für die Jahre 2019 und folgende. Die Familienkasse setzte das Kindergeld für die Kinder C und D für bestimmte Monate fest, jedoch nur in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem deutschen und dem rumänischen Kindergeld. Eine Nachzahlung wurde nur für die letzten sechs Monate vor Eingang des Antrags gewährt, basierend auf einer gesetzlichen Änderung. A legte Einspruch ein und klagte schließlich vor dem Finanzgericht, jedoch ohne Erfolg. Sie argumentierte, dass ihre in Rumänien gestellten Anträge berücksichtigt werden müssten und dass die Beschränkung auf die letzten sechs Monate gegen das Unionsrecht verstoße.

 

Rechtsfrage: Ist die Beschränkung der Nachzahlung von Kindergeld auf die letzten sechs Monate vor Eingang des Antrags bei der Familienkasse mit dem Unionsrecht vereinbar und müssen Anträge, die im Ausland gestellt wurden, berücksichtigt werden?

Leitsätze (vereinfacht)

Das Urteil bestätigt die Verfassungs- und Unionsrechtskonformität der Regelung des § 70 Abs. 1 Satz 2 EStG, wonach die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats erfolgt, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist. Es stellt zudem klar, dass für inländische Saisonarbeitnehmer die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gilt. Demnach ist ein im Heimatland gestellter Kindergeldantrag nur dann auch für die inländische Familienkasse relevant, wenn die antragstellende Person ihr Recht auf Freizügigkeit zum Zeitpunkt des Antrags bereits ausgeübt hat. Dies gilt beispielsweise, wenn der Antrag direkt nach der Geburt des Kindes gestellt wurde.

Titel

Erfordernis eines Änderungsantrags zur Vermeidung widerstreitender Steuerfestsetzung bei Organschaft auch bei Anfechtung des Steuerbescheids durch die Organgesellschaft

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V R 5/23 Link

Fallbeschreibung und Rechtsfrage

Die A GmbH & Co. KG handelt und vermietet Geräte aller Art. Im Jahr 2016 veräußerten die Kommanditisten der JB-KG ihre Anteile an die BS-GmbH, die später in TL-GmbH umfirmierte. A erwarb von der BS-GmbH Fahrzeuge für über 4 Millionen Euro, zahlbar in 28 jährlichen Raten. A machte in ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für das zweite Quartal 2016 nur den in der Rechnung ausgewiesenen Vorsteuerbetrag geltend. Das FA erkannte den Vorsteuerabzug nicht an und setzte die Umsatzsteuer auf 16.150 Euro fest. A legte Einspruch ein, der erfolglos blieb. A behauptete, dass zwischen ihr und der TL-GmbH eine Organschaft bestand.

 

Rechtsfrage: Hat A das Recht, den Vorsteuerabzug geltend zu machen, wenn sie behauptet, dass zwischen ihr und der TL-GmbH eine Organschaft bestand?

Leitsätze (vereinfacht)

Wenn eine KG als Organgesellschaft die Voraussetzungen einer Organschaft gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erfüllt, kann eine gegen sie ergangene Steuerfestsetzung nur aufgehoben werden, wenn der Organträger einen Antrag auf Änderung seiner eigenen Steuerfestsetzung stellt. Dies dient der Vermeidung von Widersprüchen im Hinblick auf § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO. Diese Regelung gilt auch im Falle eines Rechtsbehelfsverfahrens der KG gegen eine ihr gegenüber ergangene Steuerfestsetzung. Dies bestätigt das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 16.03.2023 (V R 14/21 (V R 45/19), BFHE 280, 89).

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Zusammenfassung von Betrieben gewerblicher Art (BgA) gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 KStG

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V R 43/21 Link

Fallbeschreibung und Rechtsfrage

Die A, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, betrieb neben einem Bauhof und der Abwasserentsorgung auch die Wasserversorgung und ein Freibad. Im Jahr 2007 errichtete A ein mit Biogas betriebenes Blockheizkraftwerk (BHKW) auf dem Gelände des Freibades. Der erzeugte Strom wurde an einen Stromversorger verkauft. A verrechnete die negativen Einkünfte aus dem Betrieb des Freibades mit den Einkünften aus der Wasserversorgung und der Strom- und Wärmeerzeugung aus dem Betrieb der BHKW. Das FA war der Ansicht, dass der Betrieb des Freibades ein eigenständiger BgA sei und nicht mit einem anderen BgA zusammengefasst werden könne.

 

Rechtsfrage: Kann der Betrieb des Freibades als eigenständiger BgA angesehen werden und darf er nicht mit einem anderen BgA zusammengefasst werden, obwohl die negativen Einkünfte aus dem Betrieb des Freibades mit den Einkünften aus der Wasserversorgung und der Strom- und Wärmeerzeugung aus dem Betrieb der BHKW verrechnet wurden?

Leitsätze (vereinfacht)

Bei der Zusammenfassung von mehr als zwei Betrieben gewerblicher Art müssen die Bedingungen des § 4 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 bis 3 KStG individuell für jede BgA erfüllt sein, die zusammengefasst werden soll. Dies steht im Widerspruch zu einem Schreiben des Bundesfinanzministeriums vom 12.11.2009.

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Korrektur einer jahresübergreifenden Umsatzverlagerung

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V R 19/22 Link

Fallbeschreibung und Rechtsfrage

Eine GmbH (A) führte Reparaturen an Fahrzeugen des Herstellers X durch, die X im Rahmen von "Gewährleistungen" vergütete. A versteuerte die erbrachten Leistungen erst im Jahr der Vereinnahmung, nicht im Jahr der Leistungserbringung. Nach einer Außenprüfung erhöhte das Finanzamt (FA) die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer für das Jahr 2015 um den zum Jahresende bestehenden Vergütungssaldo. A beantragte eine Berücksichtigung des Vergütungssaldos für 2013 und 2014 im Jahr der Leistungserbringung sowie eine korrespondierende Berücksichtigung des Vergütungssaldos 2014 zu ihren Gunsten. Das FA lehnte ab und erhöhte die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 um den Vergütungssaldo 2013.

 

Rechtsfrage: Ist es rechtens, dass das FA die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 um den Vergütungssaldo 2013 erhöht, obwohl A die Leistungen erst im Jahr der Vereinnahmung versteuert hat?

Leitsätze (vereinfacht)

Das Urteil besagt, dass ein Unternehmer, der seine Umsätze nicht gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung, sondern erst für den der nachfolgenden Entgeltvereinnahmung versteuert, die Rechtswidrigkeit der Steuerfestsetzung für den Besteuerungszeitraum der Entgeltvereinnahmung geltend machen kann. Dies gilt auch, wenn für den Besteuerungszeitraum der Leistungserbringung eine Festsetzungsverjährung angenommen wird. Eine Analogie zu § 20 Satz 3 UStG steht dem nicht entgegen.

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Inländisches Besteuerungsrecht für einen in der Schweiz ansässigen Piloten von Flugzeugen im internationalen Luftverkehr, die von einem deutschen Luftfahrtunternehmen betrieben werden

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VI R 32/21 Link

Fallbeschreibung und Rechtsfrage

A, ein Pilot bei Unternehmen Z, wohnt in der Schweiz, ist aber arbeitsvertraglich dem Flughafen in A-Stadt in Deutschland zugeordnet. Im Jahr 2017 behielt Unternehmen Z Lohnsteuer und Solidaritätszuschlag von A's Gehalt ein und führte diese an das FA ab. A beantragte später eine Erstattung von zu viel einbehaltener Lohnsteuer, da er sich als Grenzgänger im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz sah. Das FA lehnte den Antrag ab, da es der Ansicht war, dass A's mehrtägige Flugreisen nicht als eine Arbeitseinheit gelten und das Besteuerungsrecht Deutschland zusteht.

 

Rechtsfrage: Ist A als Pilot, der in der Schweiz wohnt, aber in Deutschland arbeitet, ein Grenzgänger im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz und hat er daher Anspruch auf Erstattung der zu viel einbehaltenen Lohnsteuer?

Leitsätze (vereinfacht)

Ein in der Schweiz ansässiger Pilot, der für ein in Deutschland ansässiges Unternehmen im internationalen Luftverkehr tätig ist, kann in Deutschland besteuert werden. Dies bezieht sich auf seine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die er an Bord des Luftfahrzeugs verdient. Dies ist nach Artikel 15 Absatz 3 Satz 1 DBA mit der Schweiz aus dem Jahr 1971/2010 möglich. Zudem wird klargestellt, dass ein solcher Pilot nicht als Grenzgänger im Sinne des Artikels 15a Absatz 2 Satz 1 des DBA-Schweiz 1971/2010 angesehen wird.

Titel

Nur punktuelle Änderungsmöglichkeit nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG

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VI R 34/21 Link

Fallbeschreibung und Rechtsfrage

A, ein britischer Staatsbürger und ehemaliger Soldat der britischen Streitkräfte, lebt mit seiner Ehefrau in Deutschland. Im Jahr 2014 erhielt er Einkommen aus seiner Tätigkeit als Soldat, eine Abfindung und Pensionszahlungen. Nach seinem Ausscheiden aus den Streitkräften war er als Bürokraft tätig. In ihrer Einkommensteuererklärung erklärten A und seine Ehefrau einen Teil des Einkommens als steuerfrei gemäß dem Doppelbesteuerungsabkommen mit Großbritannien. Das FA stimmte dieser Einschätzung zunächst zu, änderte jedoch später seine Meinung und lehnte einen Antrag auf Änderung des Einkommensteuerbescheids ab.

 

Rechtsfrage: Ist die Abfindungszahlung, die A von den britischen Streitkräften erhalten hat, nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Großbritannien in Deutschland steuerfrei?

Leitsätze (vereinfacht)

Eine Änderung eines rechtskräftigen Steuerbescheids gemäß § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG erfordert, dass die Einkünfte eines Arbeitnehmers, der uneingeschränkt steuerpflichtig ist, aufgrund der Verletzung der in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG festgelegten Nachweispflichten nicht konform mit dem Abkommen in die zu ändernde Einkommensteuerveranlagung einbezogen wurden.

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Darlegungsanforderungen bei grundsätzlicher Bedeutung (NV)

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V B 53/23 Link

Fallbeschreibung und Rechtsfrage

A betreibt eine Spielhalle und legt Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen ein Urteil des Finanzgerichts München ein. A argumentiert, dass die Besteuerung ihrer Umsätze aus Glücksspielen mit Geldeinsatz, die durch gesetzliche Vorschriften begrenzt sind, gegen den Neutralitätsgrundsatz verstoße. A sieht sich im Wettbewerb mit öffentlichen Spielbanken benachteiligt, da diese nach ihrer Ansicht willkürlich mit der gleichen Bemessungsgrundlage besteuert werden. A legt Beschwerde ein und argumentiert, dass der unionsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt wird.

 

Rechtsfrage: Verstößt es gegen den unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn Umsätze aus Glücksspielen mit Geldeinsatz unterschiedlich durch gesetzliche Vorschriften begrenzt werden?

Leitsätze (vereinfacht)

Um die grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 116 Abs. 3 Satz 3 der FGO darzulegen, muss der Beschwerdeführer sich mit der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage auseinandersetzen. Dies beinhaltet die Beschäftigung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesfinanzhofs oder anderer Gerichte sowie mit der relevanten Literatur. Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.

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Keine Entgeltminderung bei Zentralregulierung (NV)

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V R 20/23 Link

Fallbeschreibung und Rechtsfrage

Die A, eine eingetragene Genossenschaft, fungierte als Zentralregulierer und erbrachte Vermittlungsleistungen zwischen ihren Mitgliedern und Lieferanten. Sie erklärte den Schuldbeitritt für die Verbindlichkeiten ihrer Mitglieder und leitete die Zahlungsverbindlichkeiten an die Lieferanten weiter. Für diese Leistungen erhielt A von den Lieferanten separate Vergütungen. A verpflichtete sich, ihren Mitgliedern einen Jahresbonus zu zahlen. In ihrer Umsatzsteuererklärung für 2015 berücksichtigte A die Bonuszahlungen nicht mehr steuermindernd. Nach einer Außenprüfung änderte das FA die Umsatzsteuerfestsetzung für 2015. A legte Einspruch ein und forderte die Minderung der Umsatzsteuer um die Bonuszahlungen, da sie diese als Entgeltminderungen an Dritte ansah.


Rechtsfrage: Sind die von A an ihre Mitglieder geleisteten Bonuszahlungen als Entgeltminderungen an Dritte zu betrachten und somit steuermindernd zu berücksichtigen?

Leitsätze (vereinfacht)

Bonuszahlungen, die ein Zentralregulierer an seine Mitglieder auszahlt, reduzieren nicht die Bemessungsgrundlage der Leistungen, die der Zentralregulierer an die Lieferanten erbringt. Dieses Urteil knüpft an ein früheres Urteil des Bundesfinanzhofs vom 03.07.2014 an.